Auch ohne Kopf sind diese Beine unverkennbar: Die Levi’s 505 schmeichelt ihnen, schlaksig lang, Textilschuhe und Shirt in Weiß intensivieren das Degagement. Die Ramones, fotografiert von Norman Seeff. Sie zieren das Cover seines Bildbandes „The Look of Sound”, erschienen 2014. Der Fotograf hat die Musikkultur seit den späten Sechzigern festgehalten und die visuelle Entwicklung geprägt.
Das MAKK – Museum für Angewandte Kunst – zeigt seit dem 13. September in Kooperation mit den Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim und Zephyr als weltweit zweite Station die Einzelausstellung „The Look of Sound” mit über 150 Arbeiten Seeffs. Mit dem Gedanken: „Kann ich zu dir nach Hause kommen? Ich will dich in deiner Umgebung fotografieren“, ermöglicht er einen unbeschriebenen und eindrucksvollen Blick auf die KünstlerInnen dieser Zeit. Die Akteure in ihrer gewohnten Umgebung zu fotografieren und uninszeniert zu zeigen. Eine Umgebung zu geben, in der die Beteiligten sich zutrauen, sie selbst zu sein. Eine Beziehung zur fotografierten Person entstehen zu lassen.
Sie sind schön. Jung und unschuldig stehen sie in der Küche. Das Top rutscht über die zarte Schulter und stabilisiert die Betrachtung. Im Hintergrund ein prallgefülltes Gewürzregal, eine Arbeitsfläche, die zeigt: Hier wird gelebt. Patti Smith und Robert Mapplethorpe. Er hingegen hat etwas Wildes an sich. Voller Esstisch, tiefer Blick in die Kamera. Art Garfunkel umgarnt von zwei Frauen. Kindlich im Bett liegend mit Plastikbienenspielzeug, Coca Cola und Blumenbettwäsche, lacht Blues-Gitarrist Furry Lewis mit Melone auf dem Kopf herzlich in die Kamera. Es war sein eigener Wunsch, genauso abgelichtet zu werden, in seinem Ein-Zimmer-Haus in Memphis. Um eigenen Erkundungen an der amerikanischen Kultur nachzugehen, reist Seeff nach Memphis, um die außerordentlichen Blues-Musiker aufzuspüren, von denen niemand weiß, wo sie leben. Neben dem blinden Lewis hat er weitere Legenden des Blues besucht und portraitiert: B.B. King (ebenfalls im Bett), Sleepy John Estes (bei einem Konzert in einer Privatwohnung) und John Lee Hooker (mit verschmitzten Lächeln).
Die Fotografien geben den sonst stark anmutenden KünstlerInnen etwas Verletzliches und vor allem Imperfektes. Ohne viel Schminke, ohne viel Exzentrik. Er macht sie nahbar. Das imperfekte Foto – ja, gar als technisch fehlerhaft ausgelegt – ist das Portrait der Band „The Band“, die Musiker sitzen auf Ledersesseln in einer Holzhütte, die Arme vor der Brust verschränkt. Der genervte Blick spiegelt das Befinden und der Blitz im Fenster. Das Bild wird als Poster dem Album „Stage Fright” beigelegt – was vorher nie bei einer Platte passierte. Die Imperfektion sein Durchbruch.
Sein behutsamer Blick auf FilmregisseurInnen, SchauspielerInnen, AutorInnen, UnternehmerInnen, SportlerInnen, WissenschaftlerInnen und eben MusikerInnen ist immer emotional anregend und intuitiv. Filmaufnahmen der Fotosessions zeigen, wie Seeff die Fotografierten in Gespräche verwickelt, sie zum Tanzen bewegt. Ohne dabei Anweisungen zu geben. Die Aufnahmen scheinen dabei so intim, dass man sich als Voyeur ertappt fühlt. „Wenn der Augenblick echt und lebendig war, war auch das Bild lebendig“, so Seeffs.
Die Ausstellungsräume widmen sich ganz seinen Arbeiten und verzichten vordergründig auf Informationen zur abgelichteten Person sowie des dazugehörigen Prozesses – sie sind indessen anhand eines Handbuchs ermittelbar – aber vielleicht spielen genau diese Hinweise keine Rolle und werden Seeff nur gerecht: Der große Name hinter der Person hat keine Relevanz.
Die wenigen Farbaufnahmen, die zauberhaften Collagen und Grafikarbeiten unterstützen seine Schwarz-Weiß-Arbeiten, drängen sich weder in den Vordergrund, noch erscheinen sie als Fehlkörper. Das Kolorit ist erneut – erstmal – ungeglättet, imperfekt. Nicht richtig satt, nicht richtig glänzend. Vor allem bei den Rolling Stones und Blondie wird aber deutlich, wie formvollendet das unvollendete Abbild einer Gegenwart funktioniert. Und: Nur Debbie Harry sah in der 505 noch besser aus.
Norman Seeff – The Look of Sound | bis 8.3. | Museum für Angewandte Kunst | 0221 221 267 14
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